среда, 29 января 2014 г.

BEETHOVEN, Ludwig van: CHRISTUS AM ÖLBERGE


BEETHOVEN, Ludwig van: CHRISTUS AM ÖLBERGE

Ludwig van Beethoven (1770-1827):

CHRISTUS AM ÖLBERGE
Oratorium in zwei Teilen für Soli, Chor und Orchester; op. 85 - Libretto von Franz Xaver Huber

Uraufführung am 5. April 1803 (Palmsonntag) im Theater an der Wien

GESANGSSOLISTEN

Jesus, Tenor
Seraph, Sopran
Petrus, Bass

INHALTSANGABE

ERSTER TEIL

Die Orchester-Introduktion beginnt mit einem fanfarenähnlichen, düster wirkenden es-Moll-Akkord der Hörner, Fagotte und Posaunen, der in ein wehmütiges Thema der sordinierten Streicher übergeht. Dann erst greifen auch die übrigen Bläser in das musikalische Geschehen ein. Dieses Orchestervorspiel, das seinen charakteristischen Klang stellenweise durch Alt-, Tenor-, Baßposaune und den grollenden Klängen der Violoncelli und Kontrabässe erhält, läßt bereits die Kerkerszene des „Fidelio“ erahnen.

Dieses großangelegte instrumentale Klage-Vorspiel leitet direkt in den ersten Auftritt Jesu über: Das Rezitativ „Jehova, du mein Vater“ und die Arie „Meine Seele ist erschüttert“ vermittelten einen Einblick in die menschliche Existenz des Gottessohnes, die seine göttliche Natur in keiner Weise erahnen lassen. Beethoven benutzt zur Ausdeutung des Textes ausdrucksvolle Chromatik.

Dann zeigt ein anschwellender Paukenwirbel mit schwirrenden Streicherfiguren den Seraph an. Er verkündet Jesus mit Rezitativ (Erzittre, Erde, Jehovas Sohn liegt hier) und Arie (Preist des Erlösers Güte) den unabänderlichen Beschluß Gottes, daß die Erlösung der Menschen nur durch sein Leiden und Sterben erfolgen kann. Zum Seraph stellen sich die Engel und kündigen in einem gemeinsamen Gesang den Erlösten die Seligkeit an, was Beethoven zwar lyrisch und mit klanglichem Glanz vertont, bei der letzten Textstelle
Doch weh! Die frech entehren das Blut, das für sie floß,
sie trifft der Fluch des Richters, Verdammung ist ihr Los!
jedoch durch die Einführung von Dissonanzen die Musik zu äußerster Dramatik zu steigern vermag.

Im anschließenden Duett mit dem Seraph, in dem Jesus fragt, ob der himmlische Vater ihm den Tod aus Erbarmen nicht ersparen kann, findet Beethoven tiefempfundene Musik - vor allen Dingen in der Antwort des Seraphs, der Gottes eigene Worte vom „Geheimnis der Versöhnung“ zitiert, deren Erfüllung zur Errettung des menschlichen Geschlechts nötig ist, wird eine mystische Stimmung durch feierliche Bläserklänge erzeugt. Jesus erkennt nicht nur die Schwere seiner Aufgabe, sondern er bittet den Vater:
Gieß über mich den Strom der Leiden, nur zürne Adams Kindern nicht
und nimmt im Bewußtsein der Erkenntnis des göttlichen Heilsplanes das Kreuz für alle Menschen auf sich.

Nun wird aus einer kontemplativen Stimmung durch den einsetzenden Marsch der Krieger eine geradezu opernmäßige Szene geformt: Leise und unisono, als nähere sich eine unbekannte Gefahr, setzt dieser Marsch ein; auch der Chor hält diesen leisen Ton, mit nur wenigen Ausbrüchen, bei und wirkt dadurch gefährlich. Jesus wendet sich in einem rezitativischen Gebet noch einmal an Gott, er möge doch die Leidenszeit für ihn verkürzen, fügt aber auch die Worte hinzu (Matthäus 26, 39ff; Markus 14, 36ff; Lukas 22, 41ff):
Doch nicht mein Wille, nein, dein Wille nur geschehe.

Unmittelbar darauf stürzen sich die Krieger auf Jesus. Ihr Gesang mischt sich mit den ängstlichen Rufen der Jünger und die Dramatik wird durch Petrus' Einschreiten, der seinen Meister mit dem Schwert verteidigen will, noch gesteigert. Jesus aber verwehrt den Kampf mit dem gebieterischen Wort, das Schwert wieder in die Scheide zu stecken, denn Gott im Himmel würde Legionen Engel senden, wenn es sein Wille wäre.

Ein Terzett, das Petrus, Jesus und den Seraph als Ausführende hat, drückt textlich die unterschiedlichen Empfindungen über das Geschehen aus, nur die Musik kann einen merkwürdig textunabhängig vertonten Gestus nicht verwischen - sie strömt abermals opernhaft, an die Marzelline-Jaquino-Szene des „Fidelio“ erinnernd, dahin. Petrus gesteht, daß in seinen Adern „Zorn und Wut“ wühlen, was nur das Blut der „Verweg'nen“ zu „kühlen“ vermag; Jesus antwortet mit einem Zitat eigener Worte (siehe sowohl bei Matthäus, 5,43 und 44, als auch bei Lukas, 6, 27):
Du sollst nicht Rache üben, ich lehrt' euch bloß allein,
die Menschen alle lieben, dem Feinde gern verzeihn!
der Seraph ruft die Menschen auf, dieses Wort über die Nächstenliebe als wichtiges Gebot Gottes zu beachten; beide, Jesus und der Seraph, wiederholen danach duettierend genau dieses Gebot sehr eindringlich, und durch Petrus' Zustimmung zum Ende des Gesangsstückes hin wird wieder ein Terzett gebildet.

Abermals gibt es einen chorischen Auftritt durch den Gesang der Krieger, die Jesus „schleunig“ vor das Gericht bringen wollen und dem ängstlichen Jünger-Chor, die sich ebenfalls schon verhaftet und „dem Tode geweiht“ sehen. Nur Jesus bleibt ruhig und sieht sein Ende mit Zuversicht und fester Überzeugung nahen:
Meine Qual ist bald verschwunden, der Erlösung Werk vollbracht,
bald ist gänzlich überwunden und besiegt der Hölle Macht!

Der Schlußchor „Welten singen Dank und Ehre dem erhab'nen Gottessohn“, in dem Beethoven auch Trompeten einsetzt, beginnt zunächst „Maestoso“ und mit einer an Haydn erinnernden Tonsprache komponiert. Im zweiten Teil, zu den Worten „Preiset ihn, ihr Engelchöre, laut im heil'gen Jubelton!“, geht die Musik in ein fugiertes Thema über. Der versöhnliche Abschluß des Oratoriums mit einem wahren C-Dur-Klangrausch läßt bereits an das „Fidelio“-Finale denken.

INFORMATIONEN ZUM WERK

Während man früher als Entstehungszeit des Oratoriums CHRISTUS AM ÖLBERGE die Jahre 1801/1802 annahm, setzt man nach neueren Forschungen (beispielsweise durch den Musikwissenschaftler Dieter Rexroth) den Jahreswechsel 1802/1803 an. Damals wohnte Beethoven als Hauskomponist des Theaters an der Wien in einem hinteren Teil des Gebäudes, das Emanuel Schikander für 130.000 Gulden hatte erbauen lassen. Vertraglich war Beethoven auch die Durchführung eigener Konzerte zugesichert worden.

Hier, in diesem Refugium des neuerbauten Theaters, entstand neben seiner einzigen Oper „Leonore/Fidelio“ auch sein einziges Oratorium CHRISTUS AM ÖLBERGE auf einen Text des Wiener Librettisten Franz Xaver Huber. Die Zeit der Passionsmusiken nach dem Bibeltext, als deren Höhepunkte die „Historien“ von Heinrich Schütz und die „Passionen“ von Johann Sebastian Bach gelten, war längst vorbei; jetzt bevorzugte man eher die paraphrasierenden Darstellungen.

Franz Xaver Hubers Text zeigt allerdings nur einen Ausschnitt der Passionsgeschichte, die zwar den biblischen Text durchaus dogmatisch in eine dichterische Sprache faßt, die in der Szene der Gefangennahme im Garten Gethsemane auch opernhafte Züge annimmt, die aber trotzdem dem Hörer eher wie eine anrührende Anekdote erzählt wird. Die Frage, ob Beethoven überhaupt in der Lage gewesen wäre, ein religiöses Passionsoratorium im Stile Bachs (mit der ihm eigenen musikalischen Sprache natürlich) zu schreiben, kann man, ohne spekulativ zu werden, verneinen. Insofern ist CHRISTUS AM ÖLBERGE schon eher in der Nachfolge von Carl Heinrich Grauns „Der Tod Jesu“ zu sehen.

Nach eigenen Aussagen komponierte Beethoven das Werk im März 1803 innerhalb von nur 14 Tagen. Die Uraufführung erfolgte in jener großen „Akademie“ vom 5. April 1803, in der auch das dritte Klavierkonzert und die 2. Symphonie gespielt wurden. Der Erfolg war zunächst nur mäßig, was bis heute den Schwächen des Librettos zugeschrieben wird und das in der Folgezeit mehrfach überarbeitet wurde. Beethoven soll jedoch immer auf Hubers Originaltext bestanden haben, obwohl ihm die Unzulänglichkeiten des Textes bestimmt bewußt waren. Der Erstdruck der Partitur erschien - nach einer Umarbeitung, die Beethoven im Sommer 1811 in Teplitz vorgenommen hatte - schließlich im Oktober 1811 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig.

Die der Musik stets zugeschriebenen opernhaften Züge lassen sich mit der zur gleichen Zeit im Entstehen begriffenen „Leonore“ begründen. Dieser zeitgleiche Entstehungsprozeß ist am deutlichsten in der Gethsemane-Szene hörbar. Das hat Zustimmung wie Ablehnung gefunden. Karl Friedrich Zelter schrieb in einem Brief an Goethe begeistert von einer Berliner Aufführung: „Das Werk scheint ein Fragment zu sein, und der Text nimmt sich aus, als wenn ihn der Komponist sich zu eigenem Verbrauch gemacht hätte. […] Das starke Orchester ist wie ein übervolles Herz, ein Puls übermenschlicher Gewalt; ich war ergriffen. [...] Der in den Worten enthaltene Unsinn verschwindet; wohlbekannte Töne erscheinen als nie gehört, man wird hingerissen.“

Ganz anderer Meinung war 1828 der Kritiker der Leipziger „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“, der das Oratorium als eine „Grenzüberschreitung“ wertete und äußerte: „Wenn vollends, z.B. im 'Christus am Ölberge', Jesus und Petrus miteinander förmlich conversiren, so ist das das gröbste Versehen, welches begangen werden könnte.“ Die Erwartungshaltung dieses Rezensenten, wie man musikalisch den Gottessohn darzustellen hat, haben Beethoven/Huber offensichtlich nicht entsprochen.

© Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Libretto
Oratorienführer von Oehlmann, Pahlen, Harenberg, Leopold
Die Musik in Geschichte und Gegenwart


Diskographische Hinweise

Auch Beethovens CHRISTUS AM ÖLBERGE wird bei den Tamino-Werbepartnern jpc und Amazon angeboten; einige dieser Einspielungen seien hier vorgestellt:


nebenstehend eine historische Aufnahme mit Fritz Wunderlich, Erna Spoorenberg und Hermann Schey; Radio Filharmonik Orkest, Leitung Henk Spruit.


auch Helmuth Rilling hat sich Beethovens Oratorium angenommen; seine Aufnahme entstand mit den Solisten Maria Venuti, Keith Lewis und Michel Brodard und der Gächinger Kantorei sowie dem Bach-Collegium.


mit Placido Domingo, Luba Organosova, Andreas Schmidt; Kent Nagano leitet den Rundfunkchor Berlin und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.


zu der nebenstehenden Aufnahme waren nur der Dirigent, Christoph Spering, und als einziger Solist der Tenor Steve Davislim zu ermitteln; es spielt Das Neue Orchester.

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